Financial Times: Wie einem Best-Practice-Star im digitalen Abogeschäft die Dauertransformation gelingt

Gastbeitrag von unserem UK-Trendscout Barbara Geier

Die Financial Times arbeitet seit über 20 Jahren mit einer Paywall und hat heute rund 1,3 Millionen digitale Abonnenten. Um erfolgreich zu sein, setzt das Unternehmen seit fast zehn Jahren auf das North Star-Konzept - ein Ansatz, der auch jetzt zur Steigerung des Kundenwerts eingesetzt wird.

Ein klares Ziel haben und wissen, was darauf einzahlt – darauf lässt sich mit Blick auf die in London beheimatete und auf der ganzen Welt gelesene Financial Times ein erfolgreiches digitales Abogeschäft vereinfacht reduzieren. Zu einfach? Ja und nein. Ja, da hinter dem „Wissen, was darauf einzahlt“ zu viel Arbeit steckt, als dass man von „einfach“ reden könnte. Und nein, weil diese Wachstumsformel, die im Management-Jargon als „North Star Framework“ bekannt ist, wirklich so simpel und auf jedes Unternehmen übertragbar ist: Man formuliere ein gemeinsames North-Star-Ziel und definiere eine zentrale North-Star-Metrik als wichtigste Kennzahl zur Zielerreichung, die alle immer im Blick haben müssen.

Die FT hat es mit fast sturem Fokus auf dieses Konzept geschafft, ein erfolgreiches digitales Abogeschäft aufzubauen, um das sie von vielen in der Branche beneidet wird und das als Best-Practice-Beispiel bei Konferenzen und in Branchenmedien herumgereicht wird. Das erste große strategische Ziel von einer Million zahlender Leser, drei Viertel davon digital, wurde 2019 erreicht. Der nächste Meilenstein von einer Million digitaler Abonnenten folgte 2022.

North-Star-Metrik: zentraler Fokuspunkt für alle Maßnahmen

Mit einer North-Star-Metrik zur Zielerreichung arbeitet die FT seit 2015. Die anfangs identifizierte Kennzahl, auf deren Optimierung sich alles konzentrierte, war „Engagement“ – denn die Analyse der Leserdaten hatte eine direkte Korrelation zwischen der Art und Weise der Nutzung der FT-Inhalte und umsatz- und wachstumsrelevanten Verhaltensweisen wie Abo-Erneuerung oder Abwanderung ergeben.

Für jeden Abonnenten wurde ein multidimensionaler RFV-Engagement-Score ermittelt, der „Recency“, „Frequency“ und „Volume“ berücksichtigte: Wann wurden zuletzt Inhalte konsumiert, wie häufig werden Inhalte konsumiert und wie viele Inhalte werden konsumiert? Und ab dann ging es für alle Teams von Produktentwicklung und Redaktion bis Technologie darum, ihre Arbeit von der Maximierung dieses RFV-Werts leiten zu lassen, der das Geschäft treibt.

Kennzahl fördert Innovation

Gerade für die Redaktion bot diese Kennzahl optimales Identifizierungspotenzial, denn im Endeffekt geht es dabei um die Qualität des Journalismus und den Wert der gebotenen Inhalte, der Leser bindet beziehungsweise animiert, ein Abo abzuschließen. So fördert der Blick auf den strategischen Polarstern auch innovative Formate wie Online-Spiele, die eine tiefe und aktive Auseinandersetzung mit Themen ermöglichen:

2017 begleitete das interaktive „Uber Game“ einen Artikel über Uber-Fahrer und ermöglichte es Lesern, sich selbst „hinters Steuer zu setzen“, um sich als Uber-Fahrer den Herausforderungen der Gig Economy zu stellen. Artikel und Spiel gehörten im Veröffentlichungsjahr zu den meistkonsumierten Inhalten, und noch in den letzten sechs Monaten hatte das „Uber Game“ 626.000 Seitenaufrufe. 2022 forderte das „Climate Game“ Spieler dazu auf, die Kontrolle über die Zukunft der Erde zu übernehmen und mit ihren Entscheidungen die CO2-Emissionen in den Bereichen Energie, Transport, Gebäude und Industrie zu reduzieren. Als Resultat erhalten die Spieler auf Basis ihrer getroffenen Entscheidungen eine Temperaturprognose für das Jahr 2100.

Zuletzt wurde im Oktober im Vorfeld der Vorstellung des Herbst-Haushaltes durch die neue britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves das „Budget Game“ gelauncht, bei dem die Spieler in die Rolle der Politikerin schlüpfen und einen Haushalt entwerfen müssen. Diese Aktivierung war in die ausführliche Berichterstattung der FT zum britischen Herbsthaushalt 2024 eingebettet.

Mit neuem Polarstern zur ganzheitlichen Monetarisierung des Publikums

Während die Polarstern-Fixierung als Wachstumsrezept bei der FT bleibt, ändern sich die Komponenten des North Star Frameworks fortlaufend. Nach einer Umstellung von der ursprünglichen Kennzahl „Engagement“ auf den Lifetime Value (LTV) der Abonnenten, mit der 2020 ein Schwerpunkt auf die Erhöhung des Werts der Kernkunden einherging, stehen bei der FT seit dem letzten Jahr nicht mehr nur die digitalen Abonnenten im Mittelpunkt. Der Fokus liegt jetzt auf der gesamten „Global Paying Audience“ (GPA).

Dies spiegelt die Strategie der Diversifizierung und verstärkten Generierung direkter Einnahmen von einem weltweiten Publikum wider, das neben dem journalistischen Kernangebot ein breiteres Produkt- und Dienstleistungsportfolio der FT in Anspruch nimmt. Dazu gehören Veranstaltungen (FT Live) oder die Branchenanalysen zu verschiedenen Sektoren, die von der Geschäftseinheit „FT Specialist“ erstellt werden.

Die Zielvorgabe ist nun ein Wachstum des derzeitigen GPA-Volumens von knapp 2,6 Millionen auf drei Millionen bis 2028. Für den neuen, umfassenderen GPA North Star hat das FT-Team ein spezifisches „Metrics that Matter“-Framework erarbeitet, mit unterschiedlichen Messgrößen für verschiedene Geschäftsbereiche, die auf das GPA-Ziel einzahlen. Sollte die Umsetzung genauso gut gelingen wie beim ersten Großprojekt „digitales Abogeschäft“, dürfte sich der Status der FT als ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Transformation noch erhöhen.